geschichte
- Geschichtliche Entwicklung des Stadtteils Eversten -

Die Glocken der Ansgari-Kirche


Martin Taurat, Pastor (1999)

Die Glocken der Ansgari-Kirche
Als die Everstener Kirche am 1. August 1902 eingeweiht wurde - den Namen St. Ansgar erhielt sie erst zum 50. Jubiläum - hatte sie zwei Glocken.

Die kleinere Glocke ist erhalten geblieben und sagt noch heute an, „was die Uhr geschlagen hat". Sie wurde mit einem Durchmesser von 105 cm und einem Gewicht von 622 kg in der Tonhöhe f von Franz Schilling gegossen und trägt die Inschrift „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken". (Matthäus 11,28)

Franz Friedrich August Schilling (1853-1926) wirkte als angesehener Hofglockengießermeister in Apolda im Weimarer Land. Er stellte eine Vielzahl von Kirchenglocken her, unter anderen für die Kreuzkirche in Dresden, den Meißner Dom und ein Glocke für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin mit einem Gewicht von 13 250 kg. Von seinem Kunstsinn und Wohlstand zeugt noch heute eine Jugendstil-Villa, die er sich 1904/05 bei seiner Gießerei „in den rothen Bergen" in Apolda bauen ließ. Eine Großnichte Franz Schillings wohnt bei uns in Eversten.



Die große Glocke unserer Kirche hat das Schicksal dieses Jahrhunderts durchgemacht: Die erste, von Franz Schilling gegossene, mußte zu Rüstungszwecken im Ersten Weltkrieg abgeliefert werden. Für sie wurde 1924 eine Ersatzglocke beschafft und geschmückt auf einem Pferdewagen zur Kirche gebracht. Aber dieser Glocke erging es im Zweiten Weltkrieg wie der ersten. Sie wurde im Frühjahr 1942 abgeholt. Durch Flucht und Vertreibung kamen viele Menschen in den Westen. Auch die große Glocke, die jetzt im Kirchturm hängt, hatte ihre Heimat verloren. Sie stammt aus Marklissa, Kreis Lauban, in Schlesien. Auf dem „Glockenfriedhof" in Hamburg hatte sie den Krieg überstanden. Seit 1945 tut sie in unserer Kirche ihren Dienst und sagt der Gemeinde, wenn sie allein läutet, daß ein Trauerzug über den Friedhof geht. Die Schlesier lieben eine kräftige Sprache. Sie nennen die Dinge beim Namen, manchmal so deutlich, daß man lachen muß. Die Inschrift der schlesischen Glocke in unserer Kirche lautet: „ Gott helfe, daß mein Schall noch viele Gönner bringe. Nichts als die Wohltat macht's, daß ich nunmehr erklinge. " Das ist kein Bibelspruch, sondern die unverblümte Anspielung: Es könnte noch mehr gespendet werden !



Die Glocke wurde 1731 mit einem Gewicht von ca. 1400 kg und einem Durchmesser von 134 cm in der Tonhöhe es' gegossen. Über ihre Entstehungsgeschichte wissen wir nichts. Aber die Geschichtsbücher sagen uns:

Damals war das Zeitalter der Konfessionskriege vorüber. 1648 wurde in Münster und Osnabrück Frieden geschlossen. Das Land lag noch jahrzehntelang darnieder und erholte sich nur langsam vom Dreißigjährigen Krieg und der am Ende wütenden Pest. Danach entwickelte sich eine neue, weltliche Kultur. Das Zeitalter der Aufklärung begann. Friedrich der Große erklärte: „Hier muß jeder nach seiner Fasson selig werden. " Jedoch in Schlesien, woher unsere große Glocke stammt, hielt man an den alten Gottesdienstordnungen fest. So kann man die Botschaft unserer großen Glocke verstehen einerseits als das Bewahren der kirchlichen Traditionen, des Gottesdienstes, wie er unter Christen schon immer gefeiert wurde und wozu eben die Glocken mit ihrem Geläut die Gemeinde einladen. „Gott helfe, daß mein Schall noch viele Gönner (zur Kirche) bringe. " Und andererseits hört man den praktischen Lebenssinn heraus, der weiß: „Gott regiert die Welt." Ob es nun an der Inschrift der schlesischen Glocke oder am Wunsch nach einem volltönenden Geläut gelegen hat: Im Jahr 1998 ging ein lang gehegter Wunsch der Kirchengemeinde in Erfüllung. Eine dritte Glocke wurde am 2. Oktober 1998 in der Glocken- und Kunstgießerei Metz in Karlsruhe in der Tradition des Hofglockengießermeisters Schilling mit der Tonhöhe äs' gegossen. Sie hat ein Gewicht von 600 kg und einen Durchmesser von 100 cm. Ihre Inschrift lautet: „ Gloria sei dir gesungen. " Die neue Glocke wurde am 28. November 1998 in Begleitung des Gemeindekirchenrates und unter Beteiligung aller Vereine in Eversten zur Kirche gebracht. Der Wagen war von den Kindern des Kindergartens Edewechter Landstraße geschmückt worden. Eine große Menschenmenge begrüßte die neue Glocke an der Kirche und verlieh so der Freude Ausdruck, daß dieses Werk nach jahrelangem Spenden der Gemeinde nun vollendet ist. „Möge ihr Jubel zu Ehre Gottes niemals erlöschen! Möge ihr Klang uns stets daran erinnern, daß wir Menschen Ruhe und Festtage brauchen, um nicht in der Arbeit und im Alltag zu versinken. Möge ihr Läuten uns immer versichern, daß Gottes Liebe das letzte Wort behält", wünschte Pastor Taurat der neuen Glocke. Der Initiator der Spendenaktion, Kirchenmusikdirektor Helmut Müller, bekam die Stimmgabel überreicht, die aus derselben Legierung wie die Glocke beim Guß hergestellt wurde. Er bedankte sich mit bewegten Worten und verglich die drei Glocken mit „einem Stuhl, der erst durch ein drittes Standbein fest auf dem Boden steht. "



Die Ankunft der neuen Glocke wurde von der Bürgermeisterin Hiltrud Neidhardt und von den Herren Heinz Rescheleit (Reichsbund) für die Everstener Vereine, Pfarrer Sandhaus von der Katholischen Gemeinde St. Willehad und Pastor MC Cloy von der Freikirchlichen Gemeinde Baptisten gewürdigt. Der Glockensachverständige, Herr Ricklef Orth, bescheinigte ihr, daß sie wohl gelungen ist. Ein Fest im Gemeindehaus und im Festzelt hinter der Kirche schloß sich an. Am 2. Advent, dem 6. Dezember 1998, war die technische Einrichtung so weit vollendet, daß die neue Glocke zusammen mit den beiden altehrwürdigen im Einweihungsgottesdienst erklingen konnte. Ein schönes harmonisches Geläute, das Herr Ricklef Orth in einem Kanon mit der Gemeinde besang.

"Hört mal her, ihr Everstener Leute:
Hier gibt´s eine große Weihnachtsfreude!
Hört das neue Ansgari-Geläute!"


Quelle:

Hans-Günther Zemke (Hg), "Eversten an der Schwelle zum Jahr 2000", Verlag Ernst Knoth, Melle 1999, ISBN 3-88368-310-8. Martin Taurat, Pastor, Evangelische Kirchengemeinde St. Ansgar, Oldenburg-Eversten